Autobiografie von 1939 bis 1954
Magdalenas Zettelchen
Nur noch die Erinnerungen sind ihr Besitz und Halt als Magdalena 13 Jahre ist. Sie darf sie nicht verlieren.
Papier ist Mangelware, Zettel ersetzen ein Tagebuch.
Über 50 Jahre schlummern diese Zettel in einer Schuhschachtel, aber mit 72 Jahren findet Magdalena den Mut diese Schachtel erneut zu öffnen.
Nichts ist vergessen. Ihre kindlichen Notizen verschmelzen mit lebendiger Erinnerung und umspannen den Zeitraum von 1939 bis 1954.
ISBN: 978-3-748552-37-6
376 Seiten
Taschenbuch
Preis 12,99 €
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Leseproben
Es war im Februar 1941, als der böse Brief kam. Es war ein trauriger Tag.
Unsere Mutter weinte und Vati war noch in der Firma.
Warum sie weinte, wollte sie uns nicht sagen. Endlich hörte ich Vati nach Hause kommen.
Mama lief ihm entgegen und stammelte schluchzend:
„Du mußt in den Krieg. Schon Ende März.“
Ausdruckslos drückte mein Vater meine Mama ganz fest an seine Brust. Sie weinte bitterlich in seinen Armen.
Er streichelte ihren Rücken und murmelte: „Es wird sicher nicht so lange dauern und bis zum nächsten Weihnachten
bin ich bestimmt wieder zu Hause.”
Wir drei Kinder standen im Wohnzimmer und beobachteten unsere Eltern. Lukas begann ganz leise zu weinen
und Mami nahm ihn auf den Arm. Sie erklärten uns, daß Vati einen Einberufungsbefehl bekommen hat.
Sie erzählte nun ihre Erlebnisse in der Nacht auf den 10. August.
Drei Tage nach der Geburt wurde das Krankenhaus zerstört und sie saß mit dem Baby im Arm auf
einem Trümmerstein. Sie wußte nicht wohin mit sich und dem Baby. Sie trug ihren Schlafrock,
darunter das Nachthemd und ihre nackten Füße steckten in Pantoffeln. Keiner war gekommen, um sie von dort wegzuholen.
Unser großer Bruder Hermann hatte in den Nachrichten gehört, daß rund um das Krankenhaus viele Bomben
gefallen sind und war sofort losgelaufen, um unsere Mutter zu suchen.
Gegen Morgen stand er plötzlich neben ihr, mit offenen Wunden an den Beinen und seine Augen konnten kaum mehr sehen.
Er nahm den Säugling und stützte sie. So liefen sie durch die komplett zerstörte, noch brennende Stadt nach Hause.
Sie brauchten von der Sulzbacher Straße acht Stunden nach Muggenhof, denn viele Straßen waren wegen der Feuer
und dem Schutt nicht passierbar.
Hier auf dem Land ist es viel beschwerlicher den Haushalt zu bewältigen, als in der großen Stadt. Ich bin jetzt mit meinen fast sieben Jahren auch für die Betreuung der beiden kleinen Geschwisterchen zuständig. Die Wäsche wird in der Küche in einer Wanne über Nacht eingeweicht und dann im großen Wecktopf auf dem Herd gekocht. Im Waschtrog, der auf zwei Stühlen steht, wird die Wäsche dann mit der Reibe und Bürste bearbeitet, um anschließend, wieder in der Wanne, mit sauberem Wasser gespült zu werden. Das schmutzige Wasser wird danach in den Hof getragen und dort ausgeschüttet. Das Wasser zum Spülen gibt unser Brunnen und ist eiskalt. So ein Waschtag ist sehr anstrengend und Mama und ich haben am Abend wunde und rote Hände.
Magdalena 1943, 7 JahreMein Ehrgeiz ist geweckt. Ich werde noch mehr für das Tauschgeschäft organisieren.
Nach der Schule zog ich also meine Geschwister schön an und wir gingen zur geteerten Hauptstraße hinunter, auf der viele Militärfahrzeuge vorbeikommen. Meine Mutter war bereits auf dem Gut arbeiten und bekam davon nichts mit.
Wir stellten uns an den Straßenrand und winkten den vorbeifahrenden Soldaten zu. Oft haben sie angehalten, um uns Erdnüsse,
Schokolade, Datteln oder Feigen zu schenken.
Einige unserer Geschenke verstecken wir vor Mama, denn wir wollen in den Ferien in die weiteren Dörfer zum Hamstern gehen, um dafür Mehl,
Eier und Fett einzutauschen.
Wir sind richtig glücklich mit unseren Schätzen. Es lohnt sich zu winken und zu lächeln.
Seit einiger Zeit gelten unsere Lebensmittelmarken nicht mehr in unserer Region und wir müssen einen noch weiteren Weg als bislang gehen. Wir leben im Grenzgebiet zu Schwaben. Das Geschäft für unsere Region im Nachbardorf hat aber nur sehr wenige Artikel und so bleibt uns zum Einkaufen keine andere Wahl, als ab jetzt die dreizehn Kilometer in die Kleinstadt zu laufen und bepackt den gleichen Weg wieder zurück. Für Mama ist der weite Weg einfach zu beschwerlich. „Ihr seid jung und habt schnelle Füße”, sagte sie zu mir und Lukas. Nur, meine Schuhe sind zu klein und ich habe immer noch keinen Bezugsschein für ein neues Paar Schuhe bekommen. Wenn man nicht wenigstens ein Pfund Butter über den Schreibtisch schiebt, bekommt man einfach keinen Bezugsschein und ich keine neuen Schuhe.
Magdalena 1947, 10 JahreNoch raschelt das alte Laub, in dem sich das junge Gras verbirgt.
Selig streife ich durch die Dämmerung, getragen von meinen Träumen…
Lebe deinen Traum, sagte Vati einmal zu mir, als ich ihm von meinem Blumenbeet vorschwärmte.
Wenn der Frühling kommt werde ich es im Garten anlegen und er wird mir dabei helfen. Mir wird ganz warm ums Herz, wenn ich an ihn denke…
Vati ruft und winkt mir zu…
ich reiche ihm ein winziges Veilchen…
Eine Amsel flattert mir vor die Füße.
Meine Traumblase zerplatzt.
Tränen rollen über meine Wangen.
Vor mir liegt ein Apfel im Gras.
Bunt gemischt sind die Kräuter, die in der Wiese stehen. Spitzwegerich, Lichtnelken, Margareten,
Gänseblümchen, Huflattich, Glockenblumen, Gänsefingerkraut und viele verschiedene Gräser.
Dieses Bild sieht allerliebst aus.
Der Apfel hat eine rote und eine gelbe Seite,
die fast durchsichtig erscheint.
Ich fühle, rieche und schmecke den Apfel.
Der Apfelbaum bekommt seine Blätter,
schmückt sich dann mit Blüten
und schenkt den Bienen seinen Nektar.
Es entwickeln sich daraus kleine Früchte
und die reifen schließlich zu dieser köstlichen Frucht heran.
Das ist alles sichtbar und faßbar.
Wie ist es aber, lieber Jesus, mit der Sonne,
dem Mond, den vielen Sternen und dem geheimnisvollen Wind?
Alles ist da. Sie sind auch wirklich, jedoch anfassen, wie diesen Apfel, kann ich sie nicht.
Heute ist Sonntag der 28. August 1949 und ich habe Mama ins Krankenhaus der Kreisstadt begleitet. Mama hat mir am Morgen erzählt, daß heute Goethes zweihundertster Geburtstag ist.
Ich half ihr ins Bett. Sie war ganz still und zufrieden - auch, als der Arzt ihr eine Spritze gab.
Ich hielt mir beim Einstich die Augen zu.
Ich saß noch eine Weile an ihrem Bett, doch dann schickte mich die Schwester nach Hause. Erst im Zug konnte ich weinen, vorher war alles so mechanisch, so leer und fremd.
Als ich zuhause ankam, waren die beiden Kleinen schon im Bett und Hermann war auch schon losgefahren. So saßen Lukas und ich alleine in der Küche und kamen uns sehr verloren vor.
